Samstag, 12. Juni 2010

Luisita Leers

Vorm Weiterlesen: Bitte rechts bei der bis Anfang Juli 2010 laufenden Umfrage abstimmen; die Erklärung dazu findet sich im Posting vom 6. Juni.

EIN LESER HAT GEFRAGT, WER LUISITA LEERS GEWESEN SEI. Nun, da kann abgeholfen werden: Das war eine der berühmtesten und stärksten Luftakrobatinnen des frühen 20. Jahrhunderts.

Louise Krökel alias Luisita Leers kam 1909 als Kind von Zirkusartisten in Wiesbaden zu Welt – ihre Mutter Getrude Reichenbach war eine bekannte Artistin, die in einem akrobatischen Akt als „understander“ oder „Untermann“ arbeitete (der deutsche Begriff wurde wohl ohne Rücksicht aufs Geschlecht angewandt – heutige Gleichstellungs-BeauftragtInnen dürften wohl Zeter und Mordio schreien ...).

Luises leiblicher Vater verließ die Familie früh. Daraufhin heiratete Gertrude einen Artistenkollegen namens Guido Krökel. Und von dem erhielt das Kind dann auch den Familiennamen. Der Künstlername Luisita Leers stammte ebenfalls von Krökel: „Luisita“ ist die spanische Form von „Luischen“ (spanisch klingende Künstlernamen sind noch heute eine Zirkustradition bei Luftakrobaten und muskulär tätigen Artisten). Und „Leers“, weil der Artist Krökel bei der Leers-Arvello-Truppe arbeitete: Die betrieben unter anderem Akrobatik an den römischen Ringen und bauten menschliche Pyramiden: Ein Gutteil davon ließ sich nur bewerkstelligen, in dem da schiere Kraft zugange war.

Ihr Stiefvater trainierte Louise und führte sie vergleichsweise behutsam in die Zirkuswelt ein. Das Mädchen entwickelte sich zu einer Athletin mit außerordentlicher Körperkraft, das seinen Platz bei den diversen Kraftdarbietungen der Leers-Arvello-Truppe hatte: Als Elfjährige feierte sie im März 1920 in Köln ihr Debüt, wobei sie mit ihren Kollegen an den Römischen Ringen arbeitete. (Ähnlich wie die Dinger aus dem Turnunterricht, nur dass die hier oben in der Luft weit über dem Boden zu finden sind. Die Ringe sind lederbekleidet und entweder rund oder halbrund.)

Sie konnte schon bald einarmig zu vollführende planges (deutsch: Plansch, vom französischen Wort für Brett) durchführen: Das ist eine kraftbetonte Luftnummer mit dem Untermann in waagerechter, gestreckter Haltung.

Auch beherrschte sie schon früh die Übung, bei der senkrecht hängende Körper nur durch die Kraft der waagerecht ausgestreckten Arme in Kreuzform gehalten wird. Christushang oder Kreuzhang heißt das im Zirkusdiktus. Etwas, das man seinerzeit nur als Männerübung kannte. (Wer Asse der stählernen Adler III gesehen hat, mag sich erinnern, dass Rachel McLish da diese Übung auch vorführt). Und richtig Kraft erfordert es, einen Menschen am ausgestreckten Arm zu halten – Luisita Leers konnte das als Teenie, vorgeführt mit ihrem Stiefvater.

Doch ihre Liebe galt dem Trapez, für das sie ihr eigenes Repertoire entwickelte. Und mit 17 Jahren begann sie ihre Solokarriere. Sie wurde angekündigt als das „Wundermädchen. Eine jugendliche Luftakrobatin von ungeheurer Kraft und verblüffendem Können am Trapez, wodurch sie schon zwei Kontinente in Erstaunen versetzt hat“.

Sie arbeitete bald schon bei den bekannten Zirkussen und Varietés: Scala und Wintergarten in Berlin, Roxy in New York, Ringling Brothers (da war sie vier Jahre) sowie Barnum & Bailey (dies von 1928-33). Zu ihren unmittelbaren Kollegen zählten damalige Größen wie Winnie Colleano, die Codonas, die Siegrist-Silbons und Lillian Leitzel, fraglos bis heute eine der wohl berühmtesten Luftakrobatinnen.

Luisita konnte solche Trapez-Nummern darbieten wie den Genickhang (genau das, was man sich bei dem Begriff vorstellt), kombiniert mit einer Art Beinschere. Sie beherrschte den Ein-Arm-Plansch und die aufsehenerregende Nummer des „muscle grind“, bei der die mittels der Ellbeugen am Trapez hängende Artistin ihren Körper immer wieder rückwärts herumwirbelt. Nicht gerade ungefährlich. Denn sie arbeitete ohne das berühmte Netz. Jederzeit gab es die Gefahr, dass der Schweiß die Arme abrutschen und die Artistin abstürzen ließ.

Luisita Leers’ öffentlicher Rekord lag bei 139 Umdrehungen. Sie war aber wohl im Training ohne viel Mühe zu 180 und mehr fähig. Andere, die das kopieren wollten, konnten das nur, indem sie auf eine drehbare Stange zurückgriffen.

Sie arbeitete mit Unterbrechungen bis 1936 in den Vereinigten Staaten. Dann kehrte sie dauerhaft nach Deutschland zurück – und sah sich bei Kriegsbeginn 1939 im eigenen Land gefangen. Sie konnte schließlich weder arbeiten noch trainieren oder sich wie gewohnt bewusst ernähren; zu allem Überfluss legte eine alliierte Bombe ihr Haus mit allen Zirkuskostümen und -gerätschaften in Schutt und Asche.

Nach dem Krieg konnte die nun 36-jährige Luisita Leers nicht mehr an ihre vormaligen Erfolge anknüpfen, sie war außer Form, ohne Geld und Ausrüstung. Doch einmal Zirkusluft, immer Zirkusluft. Und so erschien in Ausgabe 1 der Zeitschrift „Hobby Bandwagon“ vom Februar 1949 auf Seite 9 folgender Artikel (hier von mir aus dem Englischen übersetzt):

Luisita Leers braucht Hilfe, um Zirkuskarriere fortzusetzen.

Kürzlich in diesem Land empfangene Neuigkeiten deuten darauf hin, dass Luisita Leers ein Comeback als Zirkusartistin beabsichtigt. Die meisten Sammler werden diese große Luftakrobatin kennen, die 1929 bis 1936 für Ringling Bros. und für Barnum & Bailey gearbeitet hat. Miss Leers wird zugeschrieben, dass sie 190 komplette Umdrehungen beim „muscle grind“ durchgeführt hat und dass sie die Ehre hatte, vor Calvin Coolidge (ehem. US-Präsident) und anderen Persönlichkeiten aufzutreten. Miss Leers sah sich gezwungen, ihre illustre Karriere als Zirkus-Star wegen des Krieges aufzugeben. Nun hat sie ernsthafte Angebote erhalten, sie wieder aufzunehmen. Das einzige große Hindernis, das dem entgegensteht, ist der Verlust an Körperkraft und Kondition, bedingt durch eine unzulängliche Diät. Es ist einfach nicht möglich für sie, geeignete Nahrung zu erhalten, es sei denn, hilfsbereite Freunde aus diesem Land würden ihr Pakete mit Essen zusenden. Sie benötigt vor allem Pflanzenfett, Trockenobst, Zucker, Kakao, Reis, Milchpulver und Eipulver, Fleischkonserven und Fisch. Eine Abgabe von Nahrungsmitteln an diese große Artistin wäre sehr willkommen. Miss Luisita Leers, Deutschland (Britische Besatzungszone).“

Doch es sollte nicht sein: Louise Krökel musste ihre Zirkuskarriere drangeben. Sie zog schließlich nach Braunschweig, heiratete mit Anfang 40 und arbeitete als Übersetzerin – sie hatte schließlich ihr eigenes Büro. In ihrer Freizeit befasste sie sich mit Bildhauerei.

 














Die handschriftliche Widmung der in New York 1929 gemachten Aufnahme besagt: "Herrn Siegmund Klein zum Andenken an Luisita Leers und Vater, New York November 1929". Daraus lassen sich zwei Dinge ableiten: Luisita hatte schon als Zwanzigjährige einen Muskelbody außerordentlicher Ausprägung. Und sie bewegte sich zumindest zeitweise und am Rande in den Kreisen früher Bodybuilder. Denn Siegmund "Sig" Klein (1902 bis 1987) gehörte zu den Pionieren auf diesem Gebiet; er heiratete die Tochter des als "Professor Attila" bekannten Athleten und betrieb früh ein Gym. Klein blieb dem Sport bis an sein Lebensende als wacher wie kritischer Beobachter verbunden. 
  
Soweit dies. Nun zu ihrem Body. In dem vorangegangenen Posting klang ja schon an, dass ihre ausgeprägten, starken Muskeln manch einen ganz schön verstörten. Man(n) sah darin einen Anschlag auf das als typisch männlich Erachtete.

Luisita Leers besaß fraglos einen der mit Blick auf die Muskeln am besten entwickelten weiblichen Oberkörper jener Zeit (und dies offensichtlich, ohne dass ihr Busen verschwunden gewesen wäre). Es gibt einige Fotos, die das dokumentieren. Und weil sie zudem ein sehr hübsches Mädchen gewesen sein muss, wirkte sie – gerade bei ihren Nummern und im knappen Kostüm – sicherlich auch sexuell anziehend. Allerdings bestritten Zeitungsartikel und Briefe jener Zeit das immer wieder vehement und betonten stattdessen den künstlerischen Ausdruck ihrer Kunst.

Der war fraglos gegeben und eine Folge lebenslanger Schinderei (weswegen sie sich auch jeder körperlichen Tätigkeit außerhalb des Trainings und der Manege enthielt, um sich zu schonen und keine Kraft zu vergeuden). Aber all die Plackerei führte auch zu Muskeln, angesichts derer sich Typen wie ich niederknien. Auf den ein oder zwei mir bekannten diesbezüglichen Fotos präsentiert sie die auch mit sichtlichem Stolz. Sie hat sicher mehr als nur eins davon signiert, sonst hätte es die nicht als Autogrammvordruck mit ihrem Künstlernamen links unten gegeben. Und wer gerade dieses Motiv mit der Doppelbizepspose und der offen lächelnden, ja fast schon breit grinsenden Luisita Leers gewählt hat, der wird sich auch etwas dabei gedacht haben - nämlich, dass das reißenden Absatz finden dürfte.

All dem zum Trotz - der Zeitgeist war nicht so weit. Die Zeitungen zum Beispiel stellten damals daher die unzweifelhaft auch mit ihren Muskeln verbundene Anziehungskraft von Luisita Leers heftigst in Abrede – das war halt so.

Zumindest ich darf das aber heute anders sehen, mit allem Respekt vor der großen Artistin.

Und weil's so toll aussieht, nochmals die herrliche Rückenansicht mit den wunderschönen Bizepsmuckis:


1 Kommentar:

  1. Anonym26/9/14

    Ich wollte Sie darauf hinweisen, dass in folgendem Buch ein Artikel über Luise Leers erschienen ist. Vielleicht interessiert es Sie! http://www.amazon.de/Tollkühne-Frauen-Zirkuskünstlerinnen-zwischen-Raubtierkäfig/dp/3868737375/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1411726151&sr=8-1&keywords=tollkühne+frauen

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