Ich weiß ja nicht, was all die gut gekleideten Herren in ihren gestreiften Stresemann-Hosen und Gehröcken, mit ihren runden Melonen und glänzenden Zylinderhüten auf den Köpfen fühlten, die Männer von Welt mit dem Monokel im Auge und dem kunstvoll gezwirbelten Schnurrbart, wenn sie sie sahen – ich kann es nur vermuten. Ich möchte aber mal annehmen, dass es so manchem nicht anders gegangen wäre als mir, wenn er sie erblickt hätte: Also, ich hätte angefangen zu jiepern ...
Denn: Ein klassisches, regelmäßig-schönes Gesicht mit dunklen Augen und einer Wolke brünetter Haare, dazu gut einen Meter achtzig groß, klassische Sanduhrfigur. Damit nicht genug, besaß diese schöne Hünin einen unglaublich festen Muskeltonus am ganzen Körper und präsentierte letztgenannten zudem für die damalige Zeit nachgerade skandalös knapp bekleidet, so dass man den drallen, runden Popo und die enormen 67,5-Zentimeter-Oberschenkelmuskeln ebenso sah wie die kraftvollen 43-Zentimeter-Arme.
Ein Körper, mit dem die stramme 90-Kilo-Gigantin unglaubliche Dinge anstellen konnte, weil er so wahnsinnig stark war. Tochter eines Athletenehepaares und von Kindesbeinen an intensiv trainiert, begann sie ihre Karriere in diversen Zirkus-Unternehmen, mit denen ihr Vater zusammenarbeitete. Sie begann als Männerringerin, die jedem Kerl 100 Mark anbot, der sie auf die Mate legen konnte. Was, so die Legenden der Kraftsportwelt, nie jemand geschafft hat.
So lernte sie auch ihren Mann kennen – der glaubte, eine Frau mal eben niederzuringen und dafür 100 Mark zu bekomme, sei eine recht einfache Zwischendurch-Beschäftigung und ideal, um sich schwarz einen Hunderter zu verdienen. Aber wie er sich später grinsend erinnerte, hatte er kaum den Ring betrete, als er auch schon mit unwiderstehlicher Kraft gepackt wurde, den blauen Himmel über sich erblickte und auf den Brettern landete. Sie blieben 52 Jahre verheiratet.
Ihr Entree in die Öffentlichkeit geschah mit einem ziemlichen Knall: Bei einem Besuch in New York demonstrierte die schöne Riesin ihre Kraft und behauptete, es gäbe niemanden, der mehr heben könne als sie. Es sei jeder herausgefordert, sich an ihr zu messen. Wer zu der öffentlichen Kraftdemonstration kam, war niemand anderes als „Der Große Sandow“, der Vater des modernen Bodybuilding und Powerlifting, ein Mann, dessen Körperbau noch heute den Neid so manches Eisensportlers erregt.
Was aber dann geschah, erregt bei Typen wie mir auch etwas: Zuerst glaubte sie, nun doch über das Ziel hinausgeschossen zu haben. Doch gab sie nicht klein bei und begann einfach damit, enorm schwere Gewichte zu stemmen. Die Sandow dann aufnahm und ebenfalls hochhob. So ging das hin und her, bis sie schließlich ein Gewicht von um135 Kilo ergriff und es hochstemmte – einhändig. Sandow aber schaffte das nur bis zur Brust --- sie war die Siegerin.
In der Zeit des Viktorianischen Zeitalters mit seinen festgefügten Vorstellungen von weiblich und männlich nicht nur eine Sensation, sondern fast schon ein Skandal, zumindest dürfte das so die Öffentlichkeit gesehen haben, als sie aus den damaligen New Yorker Zeitungen von der Affäre lasen und da auch das fragliche Gewicht genannt sahen. Ich würde annehmen, es gab auch schon damals Typen wie mich, die still und heimlich diese Show genossen haben ...
Sie jedenfalls machte die Affäre unvergänglich, als sie mit leisem Spott daraus ihren Künstlernamen ableitete: Geboren als Katharina Brumbach in Bayern, nannte sie sich nun „Sandwina“, eine Abwandlung des von ihr besiegten „Sandow“ (der bürgerlich Friederich Wilhelm Müller hieß und aus Königsberg stammte).
Nun lebte sie jahrelang von unglaublichen Kraftdemonstrationen, wie dem Jonglieren mit Eisenkugeln, dem einhändigen Stemmen ihres 75 Kilogramm schweren Mannes, dem Heben von Pferden (!), dem Herumtragen von Kanonenrohren, die eine halbe Tonne wogen, oder dem Bewältigen schwerer Eisengewichte, an denen noch mehrere Männer hingen. Auch stemmte sie einhändig bis zu drei ihrer Artistenkollegen.
Ja, und die dollste Nummer war wohl die hier: Sie packte eine Kette, deren Enden an den Körpern von Radfahrern befestigt waren. Dann traten die Jungs los, während sie – unterstützt von der Fliehkraft – allmählich ihren mächtigen Arm zur Hochstrecke brachte, bis die Radfahrer wie in einem Karussell im Kreis durch die Luft geschleudert wurden. Kein Wunder, dass Zirkusplakate sie ankündigten als „Schönheit und Kraft“, als „Lady Hercules“ und als „Deutschlands schöne herkulische Venus – die stärkste Frau, die jemals lebte.“
Sandwina blieb jahrzehntelang vor allem in ihrer Wahlheimat Nordamerika aktiv, ehe sie sich als Mittsechzigerin von Varieté und Zirkus (hier vor allem Barnum & Bailey sowie Ringling Brothers) zurückzog. Stark blieb sie bis fast zum Schluss, wie sie mit dem gelegentlichen Zerreißen von Telefonbüchern, dem Aufbiegen von Nägeln und Hufeisen zeigte. Ihre Lebensdaten: 1884 bis 1952, als sie am Krebs starb – da verliert jeder. Ihr Sohn Ted Sandwina machte als Boxer Karriere.
Wie ein Fachmann mal äußerte: „Sandwina war die stärkste Frau ihrer Zeit und fraglos einer der stärksten Menschen überhaupt.“
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Hallo mattmuscle,
AntwortenLöschenich bin schwer beeindruckt, um nicht zu sagen begeistert von der Leistungsfähigkeit und unbändigen Kraft dieser herkulischen Frau. Ich versuche mir vorzustellen, wie man 135kg einhändig über den Kopf stemmen kann und das als Frau!!! Wow!!!
Wenn diese Frau heute in einer so körper- und kraftbetonten Welt ihre Leistungsfähigkeit demonstrieren würde, kaum vorstellbar die Reaktionen.
Ich stelle mir dabei vor, wie 135kg in Person eines männlichen Bodybuilders aussehen (das dürften so in etwa die schwersten heutigen Profibodybuilder in Wettkampfform auf die Waage bringen) und Sandwina würde einem Millionenpublikum vor den Fernsehern demonstrieren, wie sie solch einen muskelbepackten Koloss (z.B. einen Ronny Coleman oder so :-)) mit einer Hand vom Boden hochwuchtet und auf Koppfhöhe stemmt. Wie so ein Kerl sich dabei fühlen würde??? Später dann im Interview, würde sie mit einem Augenzwinkern sagen, dass sie mit so einem Gewicht beim Schulterdrücken Kraftausdauer für ihre Schultermuskulatur trainiert, dann aber mit beiden Händen. Und auf die nicht ganz ernst gemeinte Frage, ob sie diese Übung denn auch "mit Hilfe" eines Mannes ausführt, sie dann allen Ernstes antwortet, dass sie in ihrem Fitnesstudio schon mal gelegentlich den einen oder anderen der Bigboys zur Hochstrecke bringt, wenn sich die Gelegenheit bietet,um ein besseres Gefühl dafür zu bekommen, einen Menschen erst hochzuheben und dann hochzudrücken. Und sie mittlerweile den höchsten Respekt dieser Typen genießt.
Eine Phantasie, die meinen Hormonspiegel förmlich zum Aufkochen bringt mit allen erwünschten Nebenwirkungen :-)
Vielleicht hattest du ja ähnliche Phantasien beim Schreiben Deines hochinteressanten Artikels?