Dienstag, 23. September 2008

»Chemical Pink« – Belletristisches zum Thema Muskelmaedels

Katie Arnoldi heißt die blonde und (ansehnliche) U.S.-Schriftstellerin, die mit dem Roman »Chemical Pink« vor sieben Jahren für Aufsehen sorgte und damit ihren literarischen Durchbruch schaffte. Und weil das Buch gerade neu aufgelegt wurde, sei auch mal was dazu gesagt (oben übrigens der aktuelle, weiter unten der ältere Titel).

Worum geht es? Dies ist eine (in der Prä-Handy-und Internet-Ära angesiedelte) Geschichte aus dem kalifornischen Milieu des Hardcore-Frauenbodybuilding. Sie schildert, wie eine junge Frau systematisch von zwei Fachleuten für einen Bodybuilding-Wettkampf trainiert, präpariert und gemästet wird, was diese Frau einem der Fachleute an Gegenleistungen zu erbringen hat, wie alle Beteiligten zu weit gehen und wie sich all das auswirkt.

Die beiden Hauptpersonen sind
- der superreiche Muskelmaedel-Freak Charles Worthington
- die ehrgeizige Bodybuilderin Jeanine »Aurora« Johnson.

In den Nebenrollen sehen wir
- Auroras halbwüchsige Tochter Amy
- Auroras Mutter Eileen
- den deutschen Drogenpapst, Trainer und Nobel-Zuhälter Hendrik von Got
den geistesgestörten, in seinem Auto lebenden Skip DeBilda, ebenfalls ein Bodybuilder und ein Muckimaedel-Freak, der Aurora entdeckt und überhaupt erst mit dem Sport in Verbindung gebracht hat.

Und dann sind da noch eine Reihe von Bodybuilderinnen und einige weitere Personen.

Hört sich für Muckimaedel-Fans erst mal verlockend an, liest sich meistenteils auch spannend und zum Teil auch komisch, ist aber in diesen Kreisen nur was für den (und die), die auch willens sind, einen offenen Blick in den Spiegel und hinter die Kulissen zu wagen. Denn wie überall im Leben hat auch hier der schöne Schein seine dunklen Seiten: Ein durchaus verstörendes Buch, und das aus mehreren Gründen.

Erstens nimmt »Chemical Pink« beim Thema Doping kein Blatt vor den Mund. Hierin liegt eine der Stärken: Der Leser erhält einen super-akkuraten Einblick in die Vorgehensweise des chemischen Muckiaufbaus und auch in die damit einhergehenden unerwünschten Folgen, sowohl die körperlichen (tiefere Stimme, Klitoris-Wachstum, Bartwuchs, Gelenkschmerzen) wie die psychischen (partieller Realitätsverlust, Stimmungsschwankungen).

Und man liest auch in aller Deutlichkeit, wie die davon betroffenen Damen beim Wettkampf damit umgehen – zum Beispiel, in dem sie die entsprechenden intimen Stellen mit Klebeband, Plastikeinsätzen u.ä.m. abdecken. Dies, um zu verhindern, dass sich die vergrößerten Körperpartien durch den Bikinihöschen-Stoff abzeichnen.

Zweitens geht es – und das war laut Nachwort der Schriftstellerin ihr eigentliches Thema –um das Aufeinandertreffen zweier obsessiver Persönlichkeiten, dem Millionär Charles und der Athletin Aurora. Diese nimmt zur Finanzierung ihres ehrgeizigen Zieles naiv das großzügig klingende Angebot des reichen Mannes an, sie mittels üppiger Apanage zu finanzieren, wenn sie dafür nach seinen Bedingungen lebt.

Das heißt (ebenfalls wieder erschreckend klar zu lesen): trainieren nach seinen egomanisch-diktatorischenVorgaben beziehungsweise des von ihm angeheuerten Gurus Hendrik, minutiös nach Vorgabe essen, schlafen und --- spritzen.

Nicht zu vergessen die sexuellen Gefälligkeiten: Katie Arnoldi schildert den Millionär als komplett perversen Junggesellen-Freak, der ausschließlich seinem Fetisch lebt (und wohl, so wird’s angedeutet, ein gestörtes Verhältnis zu seiner dominanten, aber vor Handlungsbeginn verblichenen Mama gehabt hat).

Unser Mann, beschrieben als dürrer Schwächlich mit wenigen Haaren, aber dafür dicker Brille, liebt schräge erotische SM-Spielchen jeder Art, die genau nach seinen Vorgaben abzulaufen haben. Mitunter verkleidet er sich als Frau, das sogar in »Psycho«-Manier mit der Kleidung seiner Mutter. Sein ganzes Leben ist auf Muckimaedels ausgerichtet, sein Haus enthält eine Bibliothek mit »jeder Bodybuilding-Zeitschrift der letzten fünf Jahre, amerikanische, europäische und japanische«. Er hat sich eine eigene Posing-Ecke und sogar ein Dopinglabor eingerichtet.


Und unser superreicher Fetischist nimmt bei alldem auch in Kauf, was die ganze Spritzerei anrichtet --- die Heldin Aurora hatte nämlich eine (immerhin von Charles geliebte und nicht nur benutzte) Bodybuilding-Vorgängerin, bei der das Doping-Übermaß verheerende Folgen hatte – hier ein Zitat aus dem Roman: »Es ging zirka zwei Jahre lang gut und dann ging es gar nicht mehr. Nichts von dem, was Charles auch tat, konnte ihre natürliche Schilddrüsenfunktion stimulieren. Ihr Stoffwechsel stürzte ab und sie blähte sich auf wie ein Walross. Hilflos sah er zu, als sie enorm fett wurde, ihr Bart dick, die Gesichtszüge grob.«

Und wie ist all das geschrieben? Jetzt wird’s ein paar Sätze lang literaturwissenschaftlich. Arnoldi erzählt »auktorial«. Es gibt also keinen »Ich«-Erzähler, statt dessen wechselt die Autorin von einer Person zur anderen und beschreibt diese mit Innen- und Außensicht. Die Innensicht (also der Blick auf Gefühle und Gedanken einer Person) gibt’s aber nicht bei allen Figuren: Sie erstreckt sich vor allem auf den Millionär, die Bodybuilderin, die Tochter und den Vietnam-Veteranen.

Als Roman hat das Buch rein formal seine Schwächen; es gibt mehrfach dramaturgische Sprünge und wirkt somit mitunter unausgewogen. Außerdem merkt man, dass sich Arnoldi in der Welt, über die sie schreibt, sehr gut auskennt – mitunter zu gut. Mancherlei dürfte dem nicht mit der Bodybuilding-Welt vertrauten Leser unverständlich bleiben, vor allem das ein oder andere zum Thema Doping. Ansonsten aber ist die Sprache klar und prägnant, die Handlungsführung logisch, eindeutig und auch mit ein paar Überraschungen gespickt. Die Dialoge sind präzise und erscheinen glaubwürdig und realistisch, der Schluss mit Aurora und ihrem Mäzen/Peiniger arg Hollywood-mäßig.

Die Personen wirken allesamt wie überzeichnete Karikaturen – das Buch lebt von der grotesken Überzeichnung, aus der es seine Komik zu beziehen versucht. Das betrifft den deutschen Doping-Papst und Trainings-Guru, der immer »ja« sagt statt »yes», »yeah« oder »yup«. Außerdem hat der einen Namen, der klingt wie aus einem amerikanischen B-Movie der 1940er Jahre entliehen; da fehlen nur noch das Monokel und der zum deutschen Gruß erhobene Arm.

Grotesk auch der Charakter des Millionärs. Der lebt (natürlich) allein und ist mindestens so verschroben wie Norman Bates aus Hitchcokcks »Psycho«. Und richtig durchgeknallt wirkt der erste Trainer Auroras: Ein im Auto lebender Vietnam-Veteran mit dem wortspielerischen Nachnamen DeBilda (da steckt »debil« ebenso drinne wie »The Builder«), der sich nie wäscht und noch nach Jahren den Becher im Auto hat, aus dem sein Schützling einst getrunken hat.

Aber hier schleicht sich auch der Verdacht ein, dass da zwar manches der Dramatik und dem Stilmittel der bewussten Überzeichnung zu stunden ist, aber anderes gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt sein dürfte: namentlich die Sexspielchen und die Besessenheit, welche alle Beteiligten kennzeichnet (und die zumindest in Ansätzen bei Fans wie dem Verfasser dieser Zeilen auch vorhanden sein dürfte). Das wahre Opfer von alldem aber ist nicht die zur Höchstform gespritzte Bodybuilderin, sondern ihre Tochter: Die leidet am meisten unter der narzisstischen Körper-Manie ihres Umfeldes, weswegen sie – auch leicht klischeebehaftet – darauf reagiert, indem sie sich äußerlich vernachlässigt und mit Süßigkeiten voll stopft.

Und wie wahr ist all das? Als Antwort dies: Katie Arnoldi hat Anfang der 1990er Jahre selber in Kalifornien einen Wettkampf gewonnen, die »1992 Southern California Bodybuilding Championship«. Sie hat jahrelang in »Gold’s Gym« in Venice trainiert und kennt die Szene aus dem Effeff. Um das Buch wissenschaftlich auf festen Boden zu stellen, hat sich die Verfasserin zudem von – begreiflicherweise namentlich nicht genannten – FBB-Doping-Fachleuten beraten lassen. So kam sie, wie sie schreibt, zu einem Doping-Programm, das jemand wie Charles an jemand wie Aurora angewendet haben könnte.

Angeblich soll die wilde Mär auch verfilmt werden. Doch gibt es da noch das nicht unwesentliche Problem, auch eine rein äußerlich geeignete Aktrice zu finden. Eine, die vom Fleck weg die Muckis hat und der man dann den Wandel zur Super-Muskelbraut auch abnimmt. Mal sehen, was wird.
Ja, und wer will, kann die Autorin hier erreichen: Katie Arnoldis Homepage.

1 Kommentar:

  1. Anonym24/9/08

    Hab ich noch nie was von gehört von diesem Buch, deine Rezension liest sich interessant! Werd ich mir mal ordern das Buch

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--- mattmuscle, der sich über möglichst viele sinnvolle Kommentare und Anmeldungen bei "Wer mitliest - die Muskelmaedel-Community" in der rechten Blog-Spalte freuen würde ...